Digital Writing
von Harald Weisshaar
Das Schreiben in der Fremdsprache gilt als ausgesprochen komplexer Prozess, findet doch beim Entwerfen/Skizzieren, beim (Um-)Formulieren und beim anschließenden Überarbeiten von Texten eine intensive Auseinandersetzung mit Sprache statt. Der folgende Beitrag beschäftigt sich vornehmlich mit guided writing, dem angeleiteten Schreiben, v.a. durch digitale Medien oder Tools. Im Vordergrund steht dabei immer der prozessuale Charakter des Schreibens, der im Unterricht von den drei Säulen der Förderung des Schreibprozesses, dem Überarbeitungsprozess hin zum Beurteilungsprozess untermauert und gestützt wird.
Auch im Rahmen von digital writing findet eine Anleitung zum Schreiben durch die Bereitstellung von sprachlichen Mitteln (Lexik und/oder Satz- und Textstrukturen) statt; der inhaltlichen und sprachlichen Erfassung von Modelltexten kommt eine besondere Bedeutung zu. Hieraus wird ersichtlich, dass es weniger um formalisierte Schreibübungen geht (die jedoch auch digital durchgeführt werden können), sondern dass der Fokus auf dem Schreibprozess zur Anbahnung von Kommunikationsfähigkeit, zur kreativen, selbständigen Arbeit mit der Fremdsprache liegt. Hierdurch wird die Motivation im Fremdsprachenunterricht gefördert, Erfolgserlebnisse werden (auch) durch das Medium möglich.
Das Schreiben in der Fremdsprache kann anhand von digitalen Medien gewinnbringend gefördert werden. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen. Für Schülerinnen und Schüler gehört elektronisches Schreiben zu ihren Alltagserfahrungen. Es ist motivationsfördernd, dies auch in den Unterricht zu integrieren. Darüber hinaus wurde das Schreiben im Englischunterricht schon lange als „the Cinderella of the skills“ angesehen, da es von Kolleginnen und Kollegen als zeitaufwändig wahrgenommen wird und deshalb „zu Hause bleiben muss“. Durch unterschiedliche digitale Zugänge kann das Schreiben ins Klassenzimmer geholt oder so gestaltet werden, dass die Klasse auch beim Schreiben zu Hause miteinander in Kontakt steht und die entstehenden Produkte gegenseitig sichtet, kommentiert oder gar gemeinsam erstellt. Die sich daraus ergebende Feedback-Kultur ist mit analogen Texten, die im Plenum vorgelesen werden, definitiv nicht zu erreichen, zumal sie erst zu einem sehr späten Zeitpunkt beim Endprodukt ansetzt.
Darüber hinaus hat das Schreiben im digitalen Zeitalter auch den Vorteil, dass nahezu sämtliche erprobte methodische Zugänge weiterhin genutzt werden können, das Rad also nicht vermeintlich neu erfunden werden muss. Dies wird im weiteren Verlauf dieses Beitrags praxisnah aufgezeigt werden. Zunächst sollen jedoch Fragen und Risiken, aber auch Chancen einer Schreibschulung im digitalen Zeitalter beleuchtet werden.
Kosten:
Vor der Verwendung von Tools im Unterricht stellt sich die Frage, ob diese kostenlos und frei zugänglich sind oder aber kostenpflichtig und nur nach einer Anmeldung nutzbar. Dies hat Auswirkungen auf die Verwendung im Unterricht, weil ggf. der Etat der Schule belastet wird oder die Lehrkraft bei den Eltern um Erlaubnis und Kostenübernahme anfragen muss.
Datenschutz:
Wie ist der Datenschutz zu gewährleisten? Wenn Schülerinnen und Schüler Texte schreiben und sich darüber im Netz austauschen, stellt sich die Frage, wer dann dabei mitlesen kann? Ggf. kann es ja sogar reizvoll sein, dass die entstehenden Texte extern mitgelesen und evaluiert bzw. am Ende der Schreibphase von den Schülerinnen und Schülern im Netz veröffentlicht werden. Der Grad an Öffentlichkeit muss jedoch in jeder Phase des Schreibprozesses vollkommen klar sein und allen Beteiligten transparent gemacht werden.
Plagiat:
Wie kann man verhindern, dass Schülerinnen und Schüler sich im Internet bei bereits bestehenden Texten ‚bedienen’, wenn sie ständig Zugriff aufs Netz haben? Diese grundsätzliche Frage, die auch bei der Vorbereitung von z.B. mündlichen Vorträgen gilt, ist sicherlich mit den Schülerinnen und Schülern im Sinne einer Medienbildung zu klären. Die Jugendlichen müssen dabei lernen, ein Verständnis gegenüber Plagiaten zu entwickeln. Die Lehrkraft selbst kann durch gezielte Aufgabenstellung Einfluss darauf nehmen, dass Plagiate erst gar nicht möglich sind, z.B. durch die Forderung nach einem bestimmten Genre, in dem das Produkt zu verfassen ist. Zu guter Letzt sei noch auf den Einsatz von digitalen Tools selbst verwiesen, welche Plagiate schnell aufdecken können, z.B. die Shareware plagiarismfinder (https://www.freeware.de/download/plagiarismfinder/).
Nötige Vorkenntnisse/Curriculum:
Wie viel müssen wir den Schülerinnen und Schülern im Vorfeld bereits beibringen, um eine sinnvolle Schreibschulung durchzuführen? Kann man sich als Lehrkraft darauf verlassen, dass alle in der Klasse grundlegendes Wissen mitbringen oder ihnen dieses im Laufe ihrer Schulzeit beigebracht wurde? Wie kann eine Unterrichtseinheit so aufgebaut werden, dass Grundlagen ohne Motivationsverlust ‚getestet’ werden? Hier schließt sich letztlich die Überlegung an, dass im Rahmen des Methodencurriculums einer Schule der Umgang mit digitalen Medien auch im Bereich Schreiben einen festen Platz haben muss.
Die meisten Apps und Tools betonen die Notwendigkeit von self-paced learning. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass die Schülerinnen und Schüler Produkte erstellen, diese gegenseitig evaluieren, editieren und dann auch der Lehrkraft zur Verfügung stellen. Besteht die Aufgabe einer Lehrkraft also künftig darin, vom PC aus Schülerarbeiten zu lesen und in bestimmte Bahnen zu lenken? Dies schließt auch die Überlegung mit ein, wie viel Erfahrung eine Lehrerin oder ein Lehrer überhaupt benötigt, um die jeweiligen Zwischenstände von Schülerinnen und Schülern bis hin zum Endprodukt sicher bewerten und beurteilen zu können – eine Frage, die sich jedoch nicht nur beim Einsatz digitaler Medien stellt, sondern die Generationen von Lehrkräften gerade beim kreativen Schreiben schon immer umgetrieben hat.
Die Alltagsverwendung digitalen Schreibens begrenzt die Wortzahl, ggf. auch den Wortschatz und befördert die Verwendung von Zeichen und Abkürzungen. All dies führt dazu, dass Jugendliche nicht gewohnt sind, sich an längeren Texten zu erproben und mit komplexer Sprachverwendung zu experimentieren. Hier besteht die Rolle der Schule darin, Schülerinnen und Schüler behutsam mit Kriterien für ‚gute Texte’ vertraut zu machen sowie ihnen Analysemittel für geschriebene Texte an die Hand zu geben.
Beim Schreiben von Texten ruhen sich Schülerinnen und Schüler zudem gerne auf ihrem bereits erworbenen Wortschatz aus und bewegen sich sprachlich innerhalb eines eng gesteckten Rahmens von have, make, can, do und like. Gerade hier können digitale Medien eine wichtige Rolle spielen, wenn den Jugendlichen bei der Textproduktion in hinreichender Anzahl Modelltexte zur Verfügung stehen, die im Sinne des noticing auf übertragbare sprachliche Mittel hin untersucht werden können (für die Produktion eigener kleinerer literarischer Texte kann beispielsweise auch auf Fan Fiction, die in großer Anzahl im Internet zu finden ist, zurückgegriffen werden; vgl. den Beitrag von Surkamp). In der Regel führt dies zu wesentlich strukturierteren, sprachlich anspruchsvolleren Schülertexten.
weitere Artikel dazu:
Data-driven learning
Literaturunterricht allgemein
Die Anzahl verwendbarer Tools und Apps für das fremdsprachliche Schreiben ist nahezu unüberschaubar. Im Folgenden werden einige von ihnen nach Funktionen gruppiert vorgestellt; außerdem liefert eine tabellarische Übersicht (s.u.) Basisinformationen zu häufig verwendeten Tools.
a) Tools zur sprachlichen Förderung
Die sprachliche Qualität des zu verfassenden Produktes kann durch die Verwendung von Online-Wörterbüchern (vgl. auch den Beitrag von Bärbel Diehr) oder Suchfiltern erhöht werden. Word puzzles finden eine Anwendung, z.B. beim Erarbeiten von Wortfeldern, die später für den zu verfassenden Text von zentraler Bedeutung sind.
b) Tools zur Strukturierung von Ideen
Beispiel: Lino
Lino bietet die Möglichkeit, auf digitalen Haftetiketten Ideen zu sammeln und diese an einer digitalen Pinnwand immer wieder neu zu sortieren und zu arrangieren. Anhand eines Gruppenzugangs können zugelassene Nutzer auch Notizen hinzufügen oder neu anordnen.
c) Tools zum digitalen Ideentausch
Beispiel: Edublogs; Texte können veröffentlicht werden, die Lehrkraft kann private Kommentare für individuelle Schülerarbeiten hinterlassen und sich den Fortschritt der Arbeit ansehen; vordefinierte Gruppen (z.B. eine Klasse) können kommentieren und Feedback geben, Produkte können aber auch komplett veröffentlicht werden. Hierbei hat die Lehrkraft zudem die Möglichkeit, Kommentare zuzulassen oder zu entfernen.
d) Tools, um sich zum Ideenaustausch online zusammenzuschalten
Beispiel: Epals; anhand von detaillierten Filtern (z.B. Altersspanne, Sprache(n)), können Klassenzimmer/Gruppen anderer Nutzer rund um den Globus gesucht werden.
e) Tools zur Organisation von Schreibprozessen, v.a. von Zeitleisten
Beispiel: Tiki-Toki; interaktive Zeitleiste, als Lesetagebuch; zur Strukturierung von Texten anhand von Bildern. Ereignisse können sortiert und anhand von Bildern oder Videos unterstützt werden. Sprachlich anfänglich wenig produktiv, eher zur Vorbereitung geeignet.
f) Tools zur Unterstützung beim Schreibprozess und um eigene kleine Bücher zu erstellen
Beispiel: Scribble; zur Verwendung am Tablet, um Geschichten auch zu zeichnen, Musik und Ton hinzuzufügen oder sich selbst in die Geschichte hineinkatapultieren. Es kann auch mit Fill-in-the-blank-stories gearbeitet werden.
Beispiel: Book creator; zum Verfassen eigener Bücher
g) Tools zur Veröffentlichung eigener Bücher
Beispiel: Kidblog; zum Schreiben für eine zuvor festgelegte Leserschaft; vier Klassen können verlinkt werden und gegenseitig ihre Texte lesen (Quadblogging).
h) Tools zur Herstellung von Erklärvideos
Beispiel: Voki; man kann seinen eigenen Avatar erstellen und durch diesen sprechen; die Auswahl verschiedener Figuren und Stimmen/Akzente ist möglich, sobald man dies aber aus der App heraus exportieren möchte, wird die Anwendung kostenpflichtig.
i) Tools zur Überarbeitung eigener oder fremder Texte
Beispiele: Writing reviser, Polish my writing, Slick write; hier steht vor allem die Sprachrichtigkeit im Vordergrund.
j) Tools zur Erstellung einer eigenen Website, über die auch veröffentlicht werden kann.
Beispiel: Weebly
Darüber hinaus gibt es Tools, die sich speziell an Lehrkräfte wenden, um die Lernprozesse einzelner Schülerinnen und Schüler oder ganzer Klassen sichtbar zu machen.
Beschäftigt man sich mit diesen Apps oder Tools und denkt Schreibaufgaben digital, dann fällt schnell auf, dass die meisten im Unterricht traditionell verwendeten Aufgabentypen zum Schreiben sich in ähnlicher Form auch digital durchführen lassen. Ein typischer Ablauf einer Schreibaufgabe könnte also folgendermaßen aussehen:
Selbstverständlich kann an nahezu jeder Stelle dieses Ablaufs durch den Einsatz traditioneller Methoden oder digitaler Tools weiter variiert und differenziert werden. Ebenfalls kann die Arbeit mit dem Lehrwerk im Bereich des Schreibens auf vielfältige Art und Weise mit digitalen Tools verknüpft werden.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich mit der Verwendung unterschiedlichster Tools im Unterricht die Textproduktion von Schülerinnen und Schülern im Sinne der Multimodalität verändert. Texte und Produkte sind nun nicht mehr nur linear, sondern können von den Jugendlichen mit einer Vielzahl von Bildern und auch Höreindrücken angereichert werden. Dies führt selbstverständlich beim Teilen der Texte zu einer veränderten Rezeption der entstandenen Produkte und eröffnet im Vergleich zu linearen Texten weitere Möglichkeiten, im Sinne eines kommunikativen Fremdsprachenunterrichts Sprechanlässe zu schaffen. Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie Multimodalität bereits von den Verlagen umgesetzt wird, kann stellvertretend die augmented app von Ernst Klett Sprachen herangezogen werden: Klett Augmented App https://www.klett-sprachen.de/downloads/c-1407
Im guided reading journal zum Roman Crooked letter, Crooked letter von Tom Franklin sind für die Schülerinnen und Schüler Bilder, audio files, Lösungshinweise und soundtracks hinterlegt, die mit dem Smartphone abgerufen werden können.
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Lehrwerksarbeit
Die meisten Ansätze, analoge Texte zu produzieren, können auch digital erfolgen. Dies soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden.
Quelle: Green Line Transition, Klett 2018 (ISBN 978-3-12-834260-3)
Die im Lehrwerk ausgewiesene topic task sieht vor, dass die Schülerinnen und Schüler im Zuge eines Wettbewerbs Kurzgeschichten zum Thema “free choice” erstellen. Die Beschreibung der task umfasst fünf klar definierte Schritte vom brainstorming über planning your story hin zum writing, checking und evaluating.
Bei den ersten beiden Schritten können die oben beschriebenen tools zur Strukturierung und zur Planung (z.B. Lino, Edublogs, Tiki-Toki) eingesetzt werden.
An dieser Stelle bietet es sich an, einen weiteren (nicht im Lehrwerk erwähnten) Unterrichtsschritt einzuschieben, nämlich der Klasse die Möglichkeit zu geben, im Internet nach Geschichten oder Materialien zu suchen, die hier als Modell dienen können. Der Schritt sollte ausdrücklich erst nach einer eigenen Planung der Lernenden erfolgen, um deren Kreativität nicht bereits im Keim zu ersticken.
Beim Schreibprozess kann die Aufgabe im Lehrwerk dahingehend verändert werden, dass nicht jede/r in der Klasse seine/ihre eigene Geschichte schreibt, sondern dass mithilfe der oben genannten tools (z.B. Writing reviser, Polish my writing, Slick write) ein gemeinsames Werk entsteht. Die Gruppe (3-4 SuS) tragen also ihre bis dahin gesammelten Ideen, Bilder und Erkenntnisse sowie ggf. auch sprachlichen Mittel zusammen und erstellen einen gemeinsamen Text, der beständig editiert und überarbeitet wird. Im Lehrwerk ist dies analog als Partnerarbeit ausgewiesen, wenn die Kurzgeschichte schon sehr weit gediehen ist: “Exchange texts with a partner. Read your partner’s story and see if you have any ideas for further improvements”. Digital writing bietet hier den Vorteil, dass sich der Motivationsverlust im Vergleich zur Überarbeitung eines nahezu fertigen, evtl. sogar handschriftlich verfassten Produktes in Grenzen hält. Die gemeinsame Arbeit am Text, der kollaborativ zusammengefügt und ständig überarbeitet wird, steigert die Motivation von Anfang an.
Der letzte Schritt, die Bewertung der einzelnen Geschichten, kann dann ebenfalls digital erfolgen. Im Vergleich zur Auswertung von Schülerprodukten im Plenum, bei der meist nur die vortragenden Schülerinnen und Schüler und die Lehrkraft etwas vom Text verstehen, wird hier durch den Versand der Texte und deren Freischaltung eine Lesephase angeschlossen. Auch das im Lehrwerk angedachte Kopieren der einzelnen Geschichten und das Lesen in Gruppen entfällt somit. Die Lesephase kann sich derselben Kriterien bedienen wie die in Step 4 ausgewiesene Checklist. Weitere geleitete Arbeitsaufträge können von der Lehrkraft gezielt eingesetzt werden, nachdem diese die entstehenden Geschichten ggf. bereits im Verlauf ihrer Entstehung gelesen hatte.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass analoges Schreiben mit recht geringem Aufwand und viel Motivationsgewinn in digitales Schreiben überführt werden kann.