Autorin: Annette Reuber
Die Förderung der Kompetenzen im Spanischunterricht wird sich aufgrund der neuen Möglichkeiten, die sich durch die digitalen Medien den Lehrenden und Lernenden bieten, erheblich verändern. Wie dies konkret aussehen kann, hängt entscheidend davon ab, ob sich der Stellenwert der funktionalen kommunikativen Kompetenzen verändern wird.
Dies gilt insbesondere für die Bildungsgänge berufsbildender Schulen, die für das Fach Spanisch einen Abschluss auf dem Niveau A2 / B1 vorsehen. Denn unter dem Druck effektiver, zunehmend unauffälliger und alltagstauglicher Assistenzsysteme wie z. B. DeepL oder Google Übersetzer muss die Frage gestellt werden, ob die zur Verfügung stehende Zeit nicht anders genutzt werden kann und soll, als eine Basiskompetenz aufzubauen, die ein maschinelles Spracherkennungs- und Übersetzungsprogramm besser, schneller und von den personellen Ressourcen unabhängig produzieren kann (siehe hierzu auch „Digitalisierung im Spanischunterricht“ sowie „Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz“).
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Bildungsgänge, die lediglich eine Basiskompetenz anstreben. Für den Unterricht in Bildungsgängen, die einen Abschluss auf dem Niveau B2 / C1 zum Ziel haben, gelten die Ausführungen unter „Funktionale kommunikative Kompetenzen“.
Der Stellenwert des Hörverstehens wird abnehmen, da Assistenzsysteme in Zukunft bei einfachen Kommunikationsabläufen in beinahe Echtzeit Übersetzungen liefern werden. Will man aber das Hörverstehen schulen, so bieten Audioeditoren wie z. B. Audicity die Möglichkeit, authentische Hörtexte zu bearbeiten (siehe hierzu auch „Hörverstehen und Hörsehverstehen“).
Im Bereich des Hörsehverstehens werden Assistenzsysteme Übersetzungen anbieten können, sodass man sich im Unterricht verstärkt auf andere Aspekte konzentrieren wird. Die unkomplizierte, raum- und zeitunabhängige Verfügbarkeit authentischer Videos, wie z. B. Präsentationen von spanischen und/oder lateinamerikanischen Unternehmen, können beispielsweise dazu genutzt werden, sich intensiver mit dem Verhältnis von Bild, Ton und Musik (Multimodalität) auseinanderzusetzen. Diese Erkenntnisse können dann für eigene Produktionen genutzt werden, die nicht nur im schulischen, sondern auch im beruflichen Kontext an Bedeutung gewinnen könnten. Die in diesem Zusammenhang relevanten Kompetenzbereiche der Medienkompetenz sind Bestandteil eines jeden Unterrichtsfachs. Dem Spanischunterricht wird die Aufgabe zukommen, die erworbenen Kompetenzen auf diesem Gebiet zu vertiefen und eine Sensibilisierung für interkulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede z. B. auf soziopragmatischer oder pragmalinguistischer Ebene anzubahnen (siehe hierzu auch „Interkulturelle Kompetenzen“).
Will man aber nicht (ganz) auf die Förderung des Hörsehverstehens verzichten, bieten digitale Programme wie z. B. Learning-Apps oder H5P vielfältige Möglichkeiten, die visuellen Texte mit interaktiven Aktivitäten zu koppeln, um das Verstehen zu unterstützen.
Grundsätzlich wird die Entwicklung der Digitalisierung die Möglichkeiten, das Sprechen im Unterricht zu fördern, erheblich verändern (siehe hierzu auch „Sprechen“). Dennoch bleibt die kommunikative Handlungsfähigkeit aus Schülersicht eine gewaltige Herausforderung, die eine hohe Lern- und Leistungsbereitschaft voraussetzt. Wenn die Ergebnisse nach zwei Jahren Unterricht jedoch dergestalt sind, dass selbst einfache Sprachhandlungen nur begrenzt realisiert werden können und digitale Instrumente dies im Zweifelsfall sogar besser ermöglichen, dann könnte eine Konsequenz der Digitalisierung darin bestehen, die Lernenden mit der Handhabung entsprechender digitaler Instrumente vertraut zu machen und sie zu befähigen, diese situationsangemessen, adressatenorientiert und effektiv einzusetzen. Dazu gehört auch, die Lernenden für die Risiken und Grenzen zu sensibilisieren (z. B. Handhabung von Daten und „Datenmüll“) und den Umgang mit Auswahlmöglichkeiten und eventuellen Missverständnissen zu trainieren (siehe hierzu auch „Digitalisierung im Spanischunterricht“ sowie „Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz“).
Viel stärker als heute werden die Lernenden dabei aber auch dazu herausgefordert, ihr eigenes Sprachverhalten, insbesondere das paraverbale, zu reflektieren, um das maschinell unterstützte Interagieren weniger störanfällig zu gestalten. Im Zuge der Verwendung digitaler Instrumente wird daher unter Umständen die Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache, dem muttersprachlichen Sprachhandeln, einen anderen Stellenwert erhalten (Stichwort: „muttersprachliche Kommunikationsfähigkeit“, „Sozialkompetenz“).
Der Spanischunterricht in den Bereichen Wirtschaft und Verwaltung ist traditionell eng verknüpft mit dem Abfassen von Handelskorrespondenz, wobei variabel einsetzbare Bausteine vermittelt werden und eigenständige Formulierungen aufgrund der hohen Formalität der verwendeten Sprache nur sehr eingeschränkt erwünscht sind. In Zukunft werden das Text- bzw. Übersetzungsprogramme vermutlich schneller und besser leisten.
Deshalb müssen Layoutfragen und der Umgang mit den Text- und Übersetzungsprogrammen im Unterricht thematisiert werden. Stärker als bisher sollten sich die Lernenden daher mit den vielfältigen Möglichkeiten, aber auch Grenzen und Risiken der Text- und Übersetzungsprogramme auseinandersetzen, um diese effektiv und kompetent, aber auch kritisch-reflektiert sowie mündig einsetzen zu können. Dazu gehören auch das reflektierte Ausloten der angebotenen Satzfragmente unter Berücksichtigung der Passung der Textteile, des Adressaten und der Situation sowie die Bewusstmachung der Verwendung spezifischer Abkürzungen oder Ausdrücke auch aus der digitalen Welt (siehe dazu auch Schreiben sowie „Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz“). Ein konkretes Beispiel für die Arbeit mit einem automatisierten Übersetzungstool im Spanischunterricht finden Sie im Bereich Lehrwerksarbeit unter Unidad 5.
Die Evaluation des Produktes kann sich – von der sprachlichen Korrektur weitgehend befreit – nun auf andere Aspekte konzentrieren und textsorten- und situationsspezifische Charakteristika deutlicher in den Blick nehmen und reflektieren. Eingesetzt werden können hier auch Plattformen wie z. B. Moodle oder IServ, aber auch digitale Instrumente wie Edkimo oder Padlet, die eine individuelle, zeit- und ortsunabhängige sowie – falls gewollt – anonyme und schnelle Rückmeldung sowohl zum Lernprodukt als auch zum Lernprozess ermöglichen.
Die systematische Nutzung digitaler Hilfsmittel für die fremdsprachliche Produktion als Vorbereitung auf die Anforderungen in der Berufswelt sollte m. E. in schriftlichen Leistungsnachweisen überprüft werden, da ansonsten ein für die Lernenden nicht nachvollziehbarer Widerspruch entstehen könnte. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang auch eine Modifizierung des Kriterienkatalogs zur Bewertung von im Rahmen betrieblicher Abläufe formulierter fremdsprachlicher Texte in Kontexten der Leistungserbringung.
Die zunehmende Vernetzung bringt es auch mit sich, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zeit- und raumunabhängig miteinander arbeiten können. Dazu gehört auch, kollaborativ an Produkten zu arbeiten und digitale Instrumente zu gebrauchen. Im Bereich der Förderung des Schreibens im Spanischunterricht der berufsbildenden Schulen wird es in Zukunft also auch darum gehen, Lernende mit Instrumenten des kollaborativen Schreibens (z. B. ZUMpad oder Unserpad) vertraut zu machen und diese für die Erstellung von Handlungsprodukten zu nutzen. Im Unterricht werden folglich verstärkt solche Lehr-Lern-Arrangements angeboten, die zwingend kollaboratives Schreiben einfordern (siehe hierzu auch ein Beispiel für die Umsetzung in der Unterrichtspraxis unter Unidad 5).
Der Stellenwert der Lesekompetenz wird vermutlich aufgrund der verfügbaren Übersetzungsprogramme abnehmen. Denn diese können oft schneller Texte, die ja in beruflichen Kontexten meist dem Informationsgewinn zur Lösung beruflicher Probleme dienen, übersetzen als die Lernenden selbst, die sich nach zwei Jahren Unterricht erst auf Niveau A2 befinden.
Das Gleiche gilt auch für Rechercheaufgaben auf internationalen Plattformen, die aufgrund der Globalisierung voraussichtlich in den administrativen Berufen an Bedeutung gewinnen werden. Schließlich ist das interpretierende Lesen in wirtschaftlich, naturwissenschaftlich und technisch orientierten Kontexten von geringer Bedeutung, das Lesen fiktionaler Texte sogar überwiegend bedeutungslos.
Ausnahmen bilden berufliche Kontexte im Bereich des Sozialen und der Gesundheit. Hier ist die Behandlung von Bilder- bzw. Kinderbüchern und einfacher lyrischer oder literarischer Texte denkbar, wobei der Fokus bei diesen Textsorten zum einen auf ästhetischen Aspekten liegt, zum anderen auf dem sinnstiftenden Vorlesen sowie der kreativen Nutzung in beruflichen Kontexten.
Die Schulung des sinnstiftenden Vorlesens in der Zielsprache ist wiederum mit digitalen Tools möglich: Die Aussprache kann selbstständig kontrolliert und verbessert werden, auch die Wirkung des Vortrags kann überprüft werden (siehe hierzu auch „Ausspracheschulung“ unter „Sprechen“). Programme wie z. B. Book Creator oder auch Explain Everything können im Unterricht eingesetzt werden, um die Lernenden in ihrer kreativen Auseinandersetzung mit dem Originaltext zu unterstützen, indem sie etwa selbst erstellte Zeichnungen oder auch Fotos, Videos, Erklärungen, akustische Signale, Lieder etc. einfügen. Außerdem wird ihnen dabei die Möglichkeit geboten, orts- und zeitunabhängig kollaborativ zu arbeiten und ihre Lernprodukte zu präsentieren und sie kommentieren und bewerten zu lassen. Ein Beispiel für die Arbeit mit einer kollaborativen Lernplattform findet sich unter der Rubrik „Lehrwerksarbeit“ unter Unidad 5.
Von hohem Nutzen sind die digitalen Medien bei der Beschaffung authentischer Texte, auch mit der Möglichkeit, eine oder auch mehrere verschiedene authentische Hörversionen dieser Texte zu Verfügung zu haben.
Der zunehmende Trend, sich Wissen mittels Lernvideos anstelle der Rezeption von Sach- oder Fachtexten anzueignen, bedeutet u. a., dass im Unterricht verstärkt Aspekte rund um die Rezeption und Produktion von Filmen, insbesondere auch von Erklärvideos thematisiert werden müssen (siehe hierzu auch „Text- und Medienkompetenz“).
Die Erstellung motivierender, didaktisch gut aufbereiteter Lernvideos wird in Zukunft zu den Aufgaben Lehrender gehören. Je nach Art des Videos findet man im Internet auch Programme, die das Erstellen (z. B. MySimpleShow, Explain Everything) oder das Bearbeiten (z. B. Movie Maker) von Filmen erleichtern. Darüber hinaus bietet es sich an, die Schülerinnen und Schüler Erklärfilme untersuchen und sogar selbst produzieren zu lassen. Zwei Beispiele für die konkrete Umsetzung im Spanischunterricht finden sich unter der Rubrik „Lehrwerksarbeit“ ( Erklärvideos recherchieren, ansehen und beurteilen unter Unidad 4 sowie eigene Erklärvideos produzieren unter Unidad 6).