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Die eigene Schulzeit im Rucksack

(sl). Hinter der Berufswahl steht für fast die Hälfte aller Jugendlichen nach Ende ihrer Schulzeit ein dickes Fragezeichen. Viele entscheiden sich für das, was sie selbst mehr als ein Jahrzehnt erlebt haben – die Schule. Sie studieren Lehramt. Dorthin nehmen sie ihren Schulrucksack mit.

Wolfgang S. traute seinen Ohren nicht richtig. Als der Schulleiter aus Bayern einen Referendar nach seiner Motivation für das Lehramt fragte, erhielt er zwei Antworten: „Verbeamtung ist cool. Und da ich nicht wusste, was ich nach dem Abi machen sollte, habe ich mich halt für den Beruf entschieden, den ich lange Tag für Tag erlebt habe – Lehrer.“ Von Bedeutung der Bildung, von Interesse am Kind war keine Rede. Zuhause berichtete die hochengagierte Führungskraft, die nicht namentlich genannt werden möchte, von dem Gespräch. Er fürchtete gar: „Das kann ja nichts werden.“

Seine Ehefrau schwieg einen Moment. Dann lächelte sie und konfrontierte ihren Mann mit der Erinnerung: „Weißt Du noch, warum Du Lehrer geworden bist?“. Wolfgang S. stutzte, hielt inne und musste fast schallend lachen: „Ich wusste auch nicht, was ich machen sollte …“ Schon am nächsten Tag trat er dem Referendar positiver gegenüber, nahm ihn zur Seite und gab ihm den Tipp: „Schauen Sie, ob Sie tatsächlich den richtigen Job gewählt haben, ob sie täglich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollen, ob sie mit der Lautstärke im Klassenzimmer klarkommen und wissen, dass nach Unterrichtsschluss kein Feierabend ist. Und vor allem gehen sie den Rollenwechsel vom Schüler zur Lehrkraft ernsthaft und bewusst an.“

Rollentausch bewältigen

Der Referendar griff die Vorschläge auf. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er im Studium und seiner Referendarzeit immer noch ein Stück weit Schüler war. Einer, der aber von heute auf morgen vor einer Klasse und damit im Mittelpunkt stand. Einer, der plötzlich erkennen musste, dass all das, was er als „grandiose Ideen“ in den Unterricht einbrachte, von den Schülerinnen und Schülern mit einem müden Lächeln quittiert wurde. Auf einmal verstand er seine eigenen Lehrkräfte am Gymnasium, verinnerlichte wie schwer es für sie wohl gewesen sein mochte, ihn und seine Klassenkameradinnen und -kameraden zu unterrichten. Seinen ursprünglichen Vorsatz „ich werde alles anders machen“ warf er über Bord, ohne seine Bereitschaft, innovativeren und anregenden Unterricht zu erteilen, aufzugeben. Aber er akzeptierte die Zwänge des Berufs. Ihm gelang der Blick- und Rollenwechsel.

Erlebnisse prägen

Durchweg positive Erfahrungen sammelte Mascha Jung in ihrer Zeit als Gymnasiastin in Halle. Die 29-Jährige sagt von sich selbst, dass „ich gut ins System Schule passte und keinen Stress mit den Dingen hatte, die von mir verlangt wurden. Außerdem fuchse ich mich gerne in Dinge hinein.“ Lehrerin wollte sie „seit meiner Zeit im Kindergarten“ werden. Sie studierte in Halle und Magdeburg, nahm im Referendariat täglich drei Stunden Fahrzeit zur Sekundarschule in Leuna in Kauf. Dort unterrichtet sie seit zwei Jahren Biologie und Mathematik.

Gerne erinnert sie sich an ihren Bio-Leistungskurs. „Spannend war der Unterricht“, sagt sie heute. Den Anspruch, Kinder durch eine alltagsbezogene Herangehensweise für „ihr“ Fach zu motivieren, verinnerlichte sie. Ebenso wie die Haltung ihres Sportlehrers, der offen einräumte, keine Kugelstoß-Kanone zu sein. Entsprechend sensibel verteilte er seine Noten. Mascha Jung bezeichnet ihn nicht als Vorbild, doch es ist zu spüren, dass er wie auch die Mathematiklehrerin am Gymnasium in Halle Maßstäbe gesetzt haben, an denen sie sich auch im Referendariat orientierte. „Meine Mathelehrerin hat Spaß verbreitet“, erzählt sie und räumt ein, dass sie in diesem Fach trotzdem „maximal auf eine zwei, eher eine drei kam.“

Realistische Ansprüche an sich selbst

Positive Erinnerungen und Erfahrungen an die eigene Schulzeit können sich genauso „hemmend“ wie inspirierend auf die eigene Lehrer:innen-Persönlichkeit auswirken wie negative. Sagen Psychologen. Man bemühe sich, es ihnen gleichzutun oder eben alles ganz anders zu machen. Mascha Jung spürt den Druck, ihren „guten“ Lehrkräften nachzueifern, nicht. „Der Druck kam eher, wenn ich als Referendarin die erfahrenen Kolleg:innen erlebt habe. Manchmal, wenn mein Unterricht trotz intensivster Vorbereitung offensichtlich bei den Schüler:innen nicht ankam, habe ich gedacht, ich sei zu blöd für die Aufgabe. Ich wollte manchmal alles hinschmeißen.“

Heute, nach vielen Gesprächen mit anderen Lehramtsanwärter:innen, wisse sie, dass es normal sei, dass Neues, das man ausprobiere, nicht sofort funktioniert. „Im Studium wird man dazu angehalten, innovativ zu sein und zigfach differenziertes Unterrichtsmaterial parat zu haben. Man hört aber nichts darüber, wie man damit umgeht, wenn die Methode nicht auf fruchtbaren Boden fällt“, bedauert sie. Denn man stoße an seine Grenzen, weil man noch nicht sicher im Thema sei, immer im Mittelpunkt stehe und dem Anspruch gerecht werden wolle, den Kindern zu entsprechen. Ihr Fazit: „Du musst Deine Erwartungen und Ansprüche an Dich selbst auf ein realistisches Maß herunterschrauben.“

In ihrem „Rucksack der eigenen Schulerfahrung“ hat Mascha Jung manch Positives entdeckt. So auch das Verständnis für ihre Schüler:innen, die beispielsweise Mathe nicht mögen und schlechte Noten fürchten. Ihnen versucht sie zu zeigen, wie sehr es hilft, wenn man nicht resigniert, sondern an Zahlen und Gleichungen „dran bleibt, auch wenn es keinen Spaß macht.“ Mit Verständnisfragen finden die Schüler:innen bei ihr immer ein offenes Ohr und wenn „ich wie eine Schallplatte die Erklärung immer und immer wieder liefere.“ Aber sie gibt ihnen auch mit auf den Weg: „Du musst kein Mathe-Ass werden. Hauptsache, Du lässt Dich an der Supermarktkasse nicht reinlegen.“

Kompakt:
Bin ich für den Beruf als Lehrer:in geeignet? Eine Antwort darauf verlangt beispielsweise Baden-Württemberg. Nach dortigem Landeshochschulgesetz (§ 60 Abs. 2 Nr. 6 LHG) ist für die Immatrikulation in Lehramtsstudiengänge die Teilnahme an einem, mit dem Kultusministerium abgestimmten Lehrerorientierungstest nachzuweisen. Dabei handelt es sich um den Online-Selbst-Test „Career Counselling for Teachers“ („Soll ich ein Lehrerstudium beginnen?“). Im Vordergrund stehen persönliche Neigungen und Einstellungen zum Lehrberuf.