stock.adobe.com | khosrork

Wenn die Ohren zu platzen drohen …

(sl) Selbstwahrnehmung trägt zur eigenen Gesundheit bei. Am Studienseminar in Saarbrücken lernen Referendar:innen Wege und Strategien zum Umgang mit Lärm kennen.

Man muss nicht lange recherchieren, um zu erfahren, wie sich permanente Lärmbelästigung auf die eigene Gesundheit auswirkt. Auch über Ursachen sowie mögliche Gegenmaßnahmen füllen wissenschaftliche Abhandlungen und Erfahrungsberichte ganze Internetportale und Fachliteratur. Doch, was ein dauerhafter Geräuschpegel mit einem tatsächlich macht, erkennen Referendar:innen häufig erst, wenn sie selbst längere Zeit vor einer ihrer Meinung nach (zu) lauten Klassen gestanden haben.

Ulrike C. weiß davon ein Lied zu singen. „Ja, ich wusste noch aus eigner Erfahrung als Schülerin an meinem Gymnasium, dass es im Klassenzimmer, auf den Gängen, dem Schulhof laut zugeht. Doch ich habe nicht annährend geahnt, wie sehr ich als Lehrerin darunter zu leiden hatte“, sagt die heute 30-Jährige aus Berlin. Ohrensausen, Kopfschmerzen, permanente Gereiztheit sowie die mangelnde Fähigkeit, sich zu konzentrieren, zeigten sich bei ihr als erstes. „Gleichzeitig wollte ich mich nicht ständig mit irgendwelchen Medikamenten vollpumpen“, erinnert sie sich. Als der Geräuschpegel auch vor dem Lehrerzimmer nicht mehr Halt machte, warf Ulrike C. die Brocken hin, wechselte den Beruf. Manche Kolleg:innen reagierten verständnisvoll, ihnen war es auch zu laut. Andere schüttelten nur den Kopf: „Das ist nun einmal so in der Schule. Das weiß man doch, wenn man ins Lehramt einsteigt.“

„Ein unglaublicher Belastungsfaktor“

„Das wirkliche Ausmaß wusste ich eben nicht“, gesteht Ulrike C. Sie bedauert, dass sie weder im Studium noch in der Zeit ihres Referendariats darauf vorbereitet worden ist. Wäre sie in jüngster Vergangenheit beim Studienseminar in Saarbrücken „gelandet“, wäre ihr diese Erfahrung erspart geblieben und der Jobwechsel möglicherweise nicht erforderlich gewesen.

Martina Walzer leitet das Studienseminar. Zuvor war sie an der Gemeinschaftsschule Ludwigspark in Saarbrücken tätig gewesen. Sie spürte den „unglaublichen Belastungsfaktor“, den Lärm und Lautstärke zur Folge haben. Sogar das gemeinsame Mittagessen wurde zur Tortur: „Mir schmeckte nichts mehr.“ Als sie dann vor rund sechs Jahren die Chance erhielt, die Leitung des Studienseminars zu übernehmen, griff sie zu. Von Beginn an stand für sie fest, dass mental health elementarer Bestandteil der Ausbildung werden müsse. Die Erkenntnis entstand nicht aus dem „Bauch“ und der eigenen Erfahrung heraus, sie ist evidenzbasiert. „Das machte es mir auch leichter, unser Team davon zu überzeugen“, sagt sie.

Substanzielle und existenzielle Selbstfürsorge

Gemeinsam stellte man sich der Frage: „Was müssen wir Referendar:innen mitgeben, damit sie nicht nur im Beruf überleben, sondern ein erfülltes Lehrer:innen-Dasein leben können.“ Natürlich kommen dabei auch Themen wie die Raumakustik und Schallschutz zur Sprache. Doch im Vordergrund steht die Überlegung, was man selbst für den Schutz der eigenen Gesundheit tun, welche Strategien man entwickeln kann, um bei sich zu bleiben und aus einer inneren Ruhe heraus agieren zu können. Martina Walzer bringt es auf den Punkt: „Selbstfürsorge ist nicht egoistisch, sondern substanziell und existenziell. Ich sollte mich nicht nur fragen, sondern herausfinden, was mir gut tut.“

Beziehungslernen steht deshalb regelmäßig auf der Tagesordnung der angehenden Lehrkräfte in Saarbrücken. Zu den Kernelementen zählt Wahrnehmungstraining, das unter anderem anhand der sogenannten „Staged Videos“ durchgeführt wird. Die Videos ermöglichen Referendar:innen die Beobachtung sowie Analyse von typischen, aber auch schwierigen Beziehungssituationen. „Sie schauen von außen darauf, können Wege und Strategien für resonante Beziehungen entwickeln“, beschreibt Martina Walzer den Sinn der Übung. Ihr ist wichtig: „Es geht nicht darum, in gut und schlecht einzusortieren, sondern um das Weiten eigener Handlungsoptionen, aber auch die Bereitschaft zu stärken, eigene Muster zu erkennen, zu verlassen, ja manchmal auch zu überschreiten.“ Dabei gilt die Maxime, authentisch zu bleiben. Walzer: „Eingeübtes Verhalten, hinter dem ich nicht stehe, verpufft.“

Regeln, Absprachen und Rituale

Ihr ist wichtig, dass die Referendar:innen nicht in die „Schuldfalle“ tappen, in der stets anderen die Verantwortung für eine schwierige Situation zugeschrieben wird. Dabei hilft die Erkenntnis, dass „wenn ich mich verändere, ändert sich auch das System um mich herum.“ Will heißen: Lehrende können aus einer großen Bandbreite an Strategien wählen, um mit Lärm umzugehen. Ein gutes Classroom-Management gehört ebenso dazu wie die „richtigen“ Unterrichtssettings. Walzer: „Auch Referendar:innen sollten mit den Schüler:innen besprechen, in welchen Settings sie gerne lernen. Und sie sollten mit ihnen über ihre Wahrnehmung des Lärms sprechen, ohne Schulzuweisungen und ohne Bewertung.“ So bleibe man im Gespräch und könne sich auf klare Regeln, Absprachen und Rituale verabreden.

Die seien auch für die Schüler:innen hilfreich, schließlich gelte auch für sie, dass es nicht die „eine Lösung“ gebe – manche benötigten absolute Ruhe, andere Lebendigkeit, oder gar einen gewissen Geräuschpegel. Eines aber gelte wohl für alle Kinder und Jugendlichen: „Sie benötigen Orte und Zeiten, wo sie ungebremst laut sein können. Dem sollten wir Lehrenden auch Rechnung tragen.“

Kompakt:
Lärm und eine schlechte Raumakustik werden im Schulalltag von Schülerinnen und Schülern sowie von Lehrkräften als sehr belastend empfunden. Im Mittel liegt der Schallpegel im Unterricht zwischen dem eines normalen und lauten Gespräches zwischen 60 bis 70 dB(A). In Grundschulen können Werte von 70 bis 75 dB(A) erreicht werden. Diese Werte sind entsprechend den Vorgaben der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung in verschiedenen Studien, u. a. einer Studie der Unfallkasse NRW, ermittelt worden. Gehörschädigender Lärm beginnt ab einem Pegel von 85 dB(A).
Wenn auch die gehörschädigenden Schalldruckpegel über 85 dB(A) im Schulalltag selten erreicht werden, können als störend empfundene Geräusche bereits Physis und Psyche beeinträchtigen: Zu den physischen Beeinträchtigungen gehören neben den Schädigungen des Gehörs und der Stimme Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Angst- und Schlafstörungen sowie Erschöpfungszustände, die sich aus dem angestrengten Zuhören bei schlechter Raumakustik und daraus resultierender ständiger Anspannung ergeben. Die psychischen Effekte umfassen die ungenügenden Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisprozesse und die sich daraus ergebende begrenzte Ausdauer bei Lehrkräften und der Schulklasse. (Quelle: Unfallkasse NRW, 2020)